|
>> Kunst, Hand, Werk
PLATTENSPIELE(R):
AMBROTYPIEN
Fotos & Text: Thomas
Stelzmann
Location: gebäude.1 fotografie

"Es riecht nach Arzt."
Es riecht.
Süßlich, chemisch, irgendwie..."nach Arzt“.
Nein, wir sind nicht im Krankenhaus, sondern in unserem
Fotostudio
gebäude.1 fotografie in Wuppertal. Es ist der Februar
diesen Jahres
und gerade eben ist ein Bild entstanden.
Das ist in einem Fotostudio nichts ungewöhnliches, aber dieses
Bild
ist es schon.
Es ist 50x70cm groß und besteht aus Glas.

50x70cm Ambrotypie
Modell: Fiona Wald
Belichtungszeit: 22 Sekunden
Auf der Flüssigkeit in unserer schwarzen Fixierbadwanne spiegeln
sich unsere eigenen, staunenden Gesichter, wabern auf und ab.
Ein
paar Zentimeter unter der Oberfläche kämpft sich das Antlitz
unseres Modells Fiona Wald durch eine Art Nebel, der sich
langsam
auflöst.
Unsere Hände stecken in Latexhandschuhen, und
meine bewegen die
Flüssigkeit in der Wanne. Über einen Meter misst dieses
Fixierbad
in der Länge, satte 30 Liter Chemikalien waschen fort,
was nicht
bleiben darf. Hier ist alles wirklich groß.
Alles hat funktioniert, das Bild ist scharf, der Kontrast ist
sehr
gut, und das, obwohl die Chancen nicht gut standen.
Nur noch ein paar Minuten, und wir können die nur
zwei Millimeter
dicke
Glasscheibe herausnehmen, spülen und dann trocknen.
Unser Bild,
eine der größten Ambrotypien in Europa, eine sogenannte
"Mammutplatte", ist fertig.
"Ambrotypie bedeutet ´unsterblich´."
Das Wort Ambrotypie stammt aus dem Griechischen und bedeutet
„unsterblich“. Das passt gut, denn diese Bilder verblassen
nicht,
sie halten vermutlich Jahrhunderte, wenn man alles richtig
macht
und sie nicht brechen. Die ersten Bilder dieser Art existieren
immer noch.
Vor 165 Jahren wurde die Kollodiumnassplatte („wet plate“)
erfunden.
Damals musste das „Filmmaterial“ kurz vor der Aufnahme
selbst her-
gestellt und sofort verwendet werden. Es durfte
während des ganzen
Prozesses nicht trocknen („Nassplatte“).
Für dieses Verfahren wurden oft Glasscheiben als Träger benutzt.
Der Fotograf begoss die Platte gleichmäßig mit Kollodium, einer oft
gelblich-rötlichen Mischung aus Ether, Alkohol, Schießbaumwolle
sowie Brom- und Iodsalzen.
Durch Kippen der Platte verteilt es sich und wird merklich
zäher.
Der Ether verdampft schnell, auch ein Teil des Alkohols
tut dies,
alles zusammen erzeugt den „Arztgeruch“. Ungefährlich
ist das nicht,
Etherdämpfe sind hochexplosiv und schwerer als
Luft. Ein Funke, z.B.
durch statische Elektrizität, und es wird
einem „warm um die Füße“...
Im nächsten Schritt, dem Tauchen der noch feuchten Platte in
Silbernitratlösung, bilden sich lichtempfindliche Silbersalze in
der
hauchdünnen Kollodiumschicht.
Dies muss unter Rotlicht
geschehen,und mit
Vorsicht: Silbernitrat ist
ätzend, und man
hat nur zwei Augen...
Die Platte wird noch nass in eine lichtdichte Holzkassette
eingelegt,
in die Kamera verbracht und dann belichtet. Bevorzugt
wird Tageslicht,
weil das Verfahren blaues und UV-Licht braucht,
um zu funktioneren.
Zurück in der Dunkelkammer wird entwickelt,
gestoppt und anschließend
(wieder im Hellen) fixiert.
Hier werden die nicht belichteten Silbersalze ausgewaschen
werden und
das Bild sichtbar. Es folgen Wässerung,
Trockung und eine luftdichte
Versiegelung, schließlich soll das
Bild nicht wie Silberbesteck
schwarz anlaufen und dann
verschwinden. Macht man alles richtig,
wird das Bild
Jahrhunderte halten, was man von unseren digitalen Daten
vermutlich nicht behaupten kann...

50x70cm Ambrotypie
Modell: Katharina Link
Belichtungszeit: 11 Sekunden
"Jede Platte ist ein absolutes
Unikat."
Es entsteht technisch ein blassgelbes Negativ, welches vor einem
schwarzen Hintergrund aber als „normales Bild“ erscheint, eine
Ambrotypie.
Jede Platte ist ein absolutes Unikat, eine
Vervielfältigung ist
nicht möglich.
Üblicherweise geschieht das alles in den normalen
Dimensionen
einer Dunkelkammer, in handlichen Schalen und kleinen
Behältern.
Bei uns war jedoch alles anders.
Unsere Plattengröße erforderte den Bau einer entsprechenden
Kamera.
Wir nutzen das Prinzip der „camera obscura“, also einer begehbaren
Kamera, vereint mit der Dunkelkammer. Schließlich konnten wir
keine
Holzkassetten bauen, die groß genug für unsere Platten waren.
Ein Gartenpavillon, der mit Silofolie und Unmengen Gewebeband licht-
dichtgemacht wurde, wurde zur Kamera.

Die erste 'camera obscura' von
gebäude.1
Im Inneren: Ein verschiebbarer Plattenhalter zum Fokussieren,
zwei
Entwicklerwannen und das schachtartige, 60kg schwere Bad mit
über 6
Litern Silbernitratlösung.
Nun brauchte man noch ein
Objektiv, welches in der Lage war, auch
einBild von
50x70cm zu erzeugen. Ein herkömmliches Kleinbildobjektiv
kann
das nicht.
Wir verwendeten ein Carl Zeiss Apo-Tessar von ca. 1930 mit
einer
Brennweite von 650mm
Brennweite und f9. 650mm sind in Kleinbild-
kreisen eine
erntzunehmende Telebrennweite. Bei unserem Aufnahmeformat
aber
entspricht das einem Weitwinkel.
Diese Linse hat einen Bildkreis von 1,2m
Durchmesser und schaut an der
Vorderwand des Zeltes hinaus,
umgeben von starken Scheinwerfern mit
einem hohen UV-Anteil
und einem großen Blitz von 2400Ws, der zusätzlich
für „Erleuchtung“ sorgt.
Das Fixierbad musste ebenfalls entsprechend riesig sein.
An diesem Tag im Februar saß Fiona bereits vor der Kamera, im
Kleid
und
mit einem über 100 Jahren alten Schirm ausgestattet.
Mit einer weißen Platte prüften wir im Inneren der Kamera die
extrem
knappe Fokuslage. Das Bild war nun scharf. Wir schwitzen in unseren
chutzanzügen. Fiona musste ab nun
stillhalten.
"Fotografie mit allen Sinnen..."
Wir trugen die gereinigte Glasscheibe raus in die unbeheizte
Halle.
Hier war es kalt, der Ether würde das Kollodium ein
bißchen länger
flüssig halten. Mein Kollege balancierte die
große Scheibe, ich goss
das
Kollodium in besprochener
Weise. Eine Unmenge von Ether wurde
freigesetzt,
es roch nach
tausend Ärzten, nicht nur nach einem.
Das war Fotografie mit
allen Sinnen!
Wir würden lange belichten müssen, denn Kollodium wird
lichtunempfind-
licher, je älter es ist. Das hier war eigentlich schon
überlagert, aber
wir mussten es nehmen. Das für diesen Tag neu
angesetzte war fehlerhaft
und ließ sich nicht gießen, warum auch
immer.
Die Chemie bei diesem Verfahren kann ´ne echte Zicke
sein...

50x70cm Ambrotypie
Modell: Stefanie Friesecke
Belichtungszeit: 12 Sekunden
Es war vollbracht, wir eilten mit der Scheibe ins Zelt und gaben
sie
ins
Silberbad.
Ohne Stahlkappenschuhe und Schutzbrille
würden wir diesen Vorgang
nicht
wagen: Eine Glasscheibe, die
senkrecht auf einen ungeschützten
Fuß fällt,
hat die Wirkung
eines Fallbeiles, und eine Platte, die ins
Silberbad fällt,
könnte einem eine gehörige Portion Silbernitrat ins
Gesicht spritzen.
Der Timer lief, noch drei Minuten. Wir fokussierten noch
einmal
nach
und
verschlossen dann das Objektiv von innen. Jetzt musste
alles
klappen, einAbbruch würde den Verlust einer sorgsam präparierten
Platte
bedeuten.
„Noch 30 Sekunden im Bad!“ riefen wir hinaus,
damit Fiona wusste,
dass es
bald ernst wurde.
Der Timer piepte.
Trübe sah die Scheibe aus, als wir sie herauszogen,
aber
das
musste so sein. Silberverbindungen waren entstanden und
warteten
auf
ihren Einsatz. Zu Zweit manövrierten wir die Platte in
einen
extra angefertigten
Halter und postierten sie hinter dem
Objektiv.
„Es geht los! Uuuuund....JETZT!
Wir öffneten das Objektiv, und zählten die Sekunden.
„22.....15....10....noch 5!....Du bist erlöst!“
Fiona durfte
sich wieder bewegen, endlich.
Die Platte sah immer noch genauso aus wie vor der Belichtung.
Irgendwo in
dieser trüben Kollodiumschicht hatte sich das
unsichtbare
„latente Bild“
gebildet, nur darauf wartend, durch
den Entwickler
verstärkt und sichtbar
zu werden. Wir
entwickelten
die Platte, langsam
bildeten sich Schatten,
irgendetwas kam.
"Das ist slow photography in
Reinstform."
Ja,
wir hatten ein Bild, und ein gutes! Wir stoppten den
Entwicklungs-
prozess
und konnten mit der Platte ins Freie.
Im
Fixierbad im Raum nebenan wurde das Bild sichtbar.
Noch zwe
Platten
würden an diesem Tage folgen, dann war das Tagespensum
erreicht:
slow photography in Reinstform.
Inzwischen haben wir die erste wet-plate
-Lehrveranstaltung für
Fotografie-studierende der Folkwang Universität
der Künste
gegeben, weitere sollen
folgen.
"Sich drauf einlassen,
vor und
hinter der Linse..."
Dieses Verfahren verlangt auf
beiden Seiten der Kamera eine intensive
Auseinandersetzung mit
der Materie und ist „Handwerk“ im wahrsten Sinne
des
Wortes,
Fotografie zum Erleben. Das bietet Digitalfotografie nicht.
"Ihr
habt
meine Sicht auf die Fotografie völlig verändert", sagte
eine
der Studentinnen.
Wir können also nicht alles falsch
gemacht haben.
"Unsere 100x70cm-Platten? Vermutlich
Weltrekord,
aber sie taugen noch nicht viel."
Wir kamen dem Ziel, irgendwann einen Menschen in Originalgröße
abzubilden,
immer näher. Im Juni gelang uns dann die Produktion
von drei Platten in
(vermutlicher) Weltrekordgröße: 100x70cm, doppelt so groß
wie vorher.
ABER: Diese Platten sind in ihrer Qualität gar nicht gut, sodass wir die
Anfertigung bald wiederholen wollen. Es kann nicht immer alles sofort
klappen.
Wir haben bisher viel Erfolg gehabt, ein Dämpfer tut gut und
hilft,
Dinge
neu
zu überdenken.
Leider mussten wir kurz nach den Rekordversuchen mit unserem
Studio
umziehen
und komplett neu anfangen. Wir haben die Gelegenheit
genutzt und
unsere
Ambrotypie auf ein professionelleres Level
gehoben.
Unsere neue camera obscura hat nun feste Wände und
steht auf einer Grund-
fläche von knapp 7x8m, Deckenhöhe 4m.

7m breit und fast 4m ist die Front der neuen
'camera obscura'.
Studio: "gebäude.1 fotografie" (noch im Aufbau)
Alles
passiert nun komplett in dieser
Kamera.
Die Linse ist ebenfalls "neu",
der Bildkreisbeträgt nun 1,4m, und sie
ist endlich höhenverstellbar.
Die Linse hat eine Brennweite von 900mm und eine maximale Blende
von 9.
Baujahr: Um 1928.

Carl Zeiss Apo-Tessar (900mm, f9) mit Tasse als
Größenvergleich
Man darf also gespannt sein, was hier in Zukunft entstehen wird.
Wir haben Großes vor.
"Die Größe spielt keine Rolle", hört man ja immer wieder.
Doch.
Hier schon.
Und wie!
gebäude.1 fotografie ->
www.gebaeude1.de
<- zurück
|
|
|